Für wen ist Psychedelische Therapie: Was die Forschung heute sagt
- Edgar Mestre
- 21. März
- 5 Min. Lesezeit
Psychedelische Substanzen wie Ketamin, Psilocybin, LSD oder MDMA galten jahrzehntelang als gefährlich, unkontrollierbar und ohne therapeutischen Nutzen.
Doch in den letzten Jahren hat sich dieses Bild stark gewandelt. Immer mehr wissenschaftliche Studien zeigen, dass Psychedelika ein enormes Potenzial in der Behandlung psychischer Erkrankungen besitzen – insbesondere dort, wo konventionelle Therapien an ihre Grenzen stossen. In diesem Beitrag werfen wir einen Blick auf die wichtigsten Indikationen für eine psychedelische Therapie, unterfüttert mit aktuellen Forschungsergebnissen.
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Depression: Besonders bei therapieresistenten Verläufen
Depression gehört zu den häufigsten psychischen Erkrankungen weltweit – und zugleich zu den am schwierigsten zu behandelnden. Rund ein Drittel der Betroffenen spricht nicht oder nur unzureichend auf klassische Antidepressiva oder Psychotherapie an. Genau hier setzen psychedelische Therapien an.
Eine der bekanntesten Studien stammt von der Johns Hopkins University. In einer kontrollierten Studie mit Psilocybin zur Behandlung von Major Depression zeigten 71 % der Teilnehmer eine klinisch signifikante Reduktion ihrer Symptome nach nur zwei Sitzungen.
> „Die Behandlung mit Psilocybin führte zu einer schnellen und signifikanten Reduktion depressiver Symptome, die bei der Mehrheit der Teilnehmer mindestens vier Wochen anhielt.“
> – Davis et al. (2020), *JAMA Psychiatry*
Auch die britische COMPASS Pathways-Studie, die Psilocybin bei behandlungsresistenter Depression einsetzte, zeigt vielversprechende Ergebnisse: Nach einer einzigen Dosis Psilocybin (25 mg) zeigten 29 % der Teilnehmer nach drei Wochen eine Remission der Depression – im Vergleich zu nur 7,6 % in der Kontrollgruppe.
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Angststörungen und existenzielle Krisen
Psychedelika können auch helfen, existenzielle Ängste zu lindern – insbesondere bei Menschen mit lebensbedrohlichen Diagnosen wie Krebs. In einer vielbeachteten Studie an der NYU School of Medicine bekamen Krebspatient:innen eine einmalige Dosis Psilocybin. Das Ergebnis:
> „Ein Grossteil der Teilnehmer erlebte eine dramatische Reduktion von Angst und Depression sowie ein gesteigertes Gefühl von Sinn und Verbundenheit – Effekte, die über sechs Monate anhielten.“
> – Ross et al. (2016), *Journal of Psychopharmacology*
Diese Effekte beruhen laut Forschenden nicht nur auf neurochemischen Veränderungen, sondern auch auf den oft tiefgreifenden spirituellen und emotionalen Erfahrungen während der psychedelischen Sitzung – dem sogenannten „mystischen Erlebnis“.
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Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
Besonders intensiv erforscht wird derzeit der Einsatz von MDMA bei der Behandlung von PTBS. MDMA wird zwar nicht zu den klassischen Psychedelika gezählt, gehört aber zur Gruppe der „entaktogenen“ Substanzen – also Wirkstoffen, die eine erhöhte Selbstwahrnehmung und emotionale Offenheit fördern.
In einer Phase-3-Studie der Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies (MAPS) erreichten 67 % der Proband:innen nach nur drei MDMA-gestützten Therapiesitzungen keine PTBS-Kriterien mehr – im Vergleich zu 32 % in der Kontrollgruppe.
> „Diese Ergebnisse übertreffen alle bisher bekannten Behandlungsmethoden bei PTBS – sowohl in Schnelligkeit als auch in Nachhaltigkeit.“
> – Mitchell et al. (2021), *Nature Medicine*
Wichtig ist: MDMA wirkt hier nicht als „Heilmittel“, sondern als Katalysator für psychotherapeutische Prozesse. Die Substanz ermöglicht es vielen Patient:innen, traumatische Erlebnisse zu verarbeiten, ohne in retraumatisierende Zustände zu geraten.
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Suchtstörungen: Alkohol, Nikotin und mehr
Ein weiteres spannendes Feld ist die Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen mit Psychedelika – insbesondere mit Psilocybin. Schon in den 1950er Jahren zeigten LSD-gestützte Therapien erste Erfolge bei Alkoholabhängigkeit. Diese Ansätze wurden nun durch moderne Studien aufgegriffen.
Eine Studie an der Johns Hopkins University zur Behandlung von Nikotinsucht mit Psilocybin zeigte, dass 80 % der Teilnehmer:innen nach sechs Monaten abstinent blieben – ein Ergebnis, das weit über dem liegt, was konventionelle Raucherentwöhnungsprogramme erreichen.
> „Die Wirkung von Psilocybin scheint tiefgreifender und nachhaltiger zu sein als die aller bisher getesteten Methoden zur Suchtbehandlung.“
> – Johnson et al. (2014), *Journal of Psychopharmacology*
Auch bei Alkoholabhängigkeit zeigen Psilocybin-Therapien vielversprechende Ergebnisse. In einer randomisierten Studie (Bogenschutz et al., 2022) reduzierte sich der Alkoholkonsum der Teilnehmer:innen um mehr als 80 %.
Erste Studien zeigen Hinweise darauf, dass auch die Abhängigkeit von Opiaten durch psychedelische Therapie behandelbar zu sein scheint.
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Zwangsstörungen (OCD) und Essstörungen
Zwar ist die Studienlage hier noch dünner, aber erste Hinweise deuten darauf hin, dass psychedelische Substanzen auch bei Zwangsstörungen und Essstörungen wie Anorexia nervosa hilfreich sein könnten. In Fallberichten berichten Patient:innen von einem deutlich reduzierten Zwangserleben nach psychedelischen Erfahrungen.
Aktuell laufen mehrere klinische Studien, unter anderem an der University of California, um die Wirkung von Psilocybin auf Essstörungen zu erforschen. Erste Ergebnisse werden 2025 erwartet. Die Hypothese: Psychedelika können rigide Denk- und Verhaltensmuster aufweichen und emotionale Blockaden lösen, was bei stark fixierten Krankheitsbildern wie Zwang oder Essstörung therapeutisch relevant sein könnte.
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Existentielle und spirituelle Krisen
Nicht jede Form der psychischen Belastung ist pathologisch. Viele Menschen erleben in bestimmten Lebensphasen tiefgreifende Sinnkrisen, spirituelle Orientierungslosigkeit oder den Wunsch nach innerer Transformation. Auch hier können psychedelische Erfahrungen therapeutisch hilfreich sein – etwa im Rahmen integrativer Psychotherapie.
> „Psychedelische Erfahrungen ermöglichen oft einen Perspektivwechsel, der für die persönliche Entwicklung entscheidend sein kann – vergleichbar mit einem tiefen meditativen Zustand oder einer Nahtoderfahrung.“
> – Grof & Halifax (1977), *The Human Encounter with Death*
Zwar handelt es sich hier nicht um eine medizinische Indikation im klassischen Sinn, doch immer mehr Therapeut:innen plädieren dafür, auch sogenannte „subklinische“ Themen ernst zu nehmen – insbesondere in einem ganzheitlichen Verständnis von Gesundheit.
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Wirkmechanismen: Warum wirken Psychedelika?
Die genaue Wirkweise psychedelischer Substanzen ist noch nicht vollständig verstanden, doch es zeichnen sich einige gemeinsame Prinzipien ab:
Neuroplastizität: Psychedelika fördern offenbar die Neubildung neuronaler Verbindungen (sog. „neural rewiring“), insbesondere im präfrontalen Kortex.
Default Mode Network (DMN): Dieses Gehirnnetzwerk, das mit Selbstreflexion, Grübeln und Ego-Wahrnehmung zusammenhängt, wird durch Psychedelika vorübergehend heruntergefahren – was zu einem Zustand erhöhter Offenheit und Flexibilität führt.
Emotionale Verarbeitung: Viele berichten, während der psychedelischen Erfahrung lange verdrängte Emotionen durchleben und integrieren zu können.
Mystische Erlebnisse:** Studien zeigen, dass die Tiefe des „mystischen Erlebnisses“ ein Prädiktor für den therapeutischen Erfolg ist (Griffiths et al., 2006).
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Grenzen und Risiken
So vielversprechend die Forschung auch ist – psychedelische Therapie ist kein Allheilmittel. Kontraindikationen wie Psychosen, schwere Persönlichkeitsstörungen oder fehlende psychische Stabilität müssen ernst genommen werden. Ebenso wichtig ist ein professionell geführter Rahmen: Set und Setting, also die psychische Verfassung und das Umfeld der Erfahrung, sind entscheidend für den Erfolg und die Sicherheit der Sitzung.
Auf diesen Aspekt legen wir im Zentrum für Seelische Gesundheit einen sehr grossen Wert.
Zudem warnen Expert:innen vor einer unreflektierten Kommerzialisierung psychedelischer Therapie.
Die Integration solcher Erfahrungen in den Prozess nach der Erfahrung fehlt in solchem Umfeld oft. Sie ist ebenso wichtig wie die Erfahrung selbst.
„Psychedelika sind keine magischen Pillen – sie öffnen Türen, aber man muss selbst hindurchgehen.“ – Stanislav Grof
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Fazit: Eine Renaissance mit Potenzial
Die psychedelische Therapie steht an einem Wendepunkt. Was einst als gefährliche Randerscheinung galt, entwickelt sich mehr und mehr zu einem ernstzunehmenden therapeutischen Werkzeug – vor allem bei schweren, chronischen oder bislang therapieresistenten Erkrankungen.
Doch mit dieser Renaissance kommt auch Verantwortung: Nur in einem professionellen, ethischen und integrativen Rahmen können psychedelische Erfahrungen ihr ganzes Potenzial entfalten. Die Forschung ist vielversprechend – nun kommt es auf eine kluge Umsetzung an.
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Weiterführende Literatur
- Michael Pollan: *How to Change Your Mind* (2018)
- Roland Griffiths et al.: *Psilocybin produces substantial and sustained decreases in depression and anxiety* (2016)
- MAPS.org: Studien zu MDMA und PTBS
- Compass Pathways: *COMP360 Psilocybin Therapy for Treatment-Resistant Depression*
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